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Gerichtsurteile

anbei ein interessanter Artikel aus der aktuellen Zeitschrift Finanztest (September 2018):

  So tricksen die Versicherungen

Verbringungskosten: Erste Urteile zu Kaskofällen

  • Bei Kaskoschäden kommt es hinsichtlich der Verbringungskostenerstattung (siehe den
    umfassenden Beitrag dazu in UE 12/2016) darauf an, was der Versicherungsnehmer und der
    Kaskoversicherer im Kaskovertrag vereinbart haben.

  • Steht dort zu den Verbringungskosten nichts, gehören sie zu den, erforderlichen Kosten der
    Wiederherstellung”, deren Erstattung als Kern des Ganzen in jedem Kaskovertag
    versprochen ist. Das wird nun durch zwei aktuelle Urteile vom AG Fürth bestätigt, die die
    Verbringungskosten glasklar den erforderlichen Reparaturkosten zuzuordnen sind.

  • AG Fürth, Urteil vom 14.09.2017, Az. 340 C 1325/17, Abruf-Nr. 197672

  • AG Fürth, Urteil vom 07.11.2017, Az. 310 C 1324/17, Abruf-Nr. 197651

  • Weil das Pionierarbeit war, soll hier ausnahmsweise gewürdigt werden, wer das durchgesetzt
    hat. Einsenderin ist Rechtsanwältin Stefanie Helzel aus Nürnberg.

In beiden Verfahren hat der Versicherungsnehmer selbst geklagt, womit das Problemfeld der
Abtretung bei Kasko vermieden wurde.

Schadenabwicklung: Wiederbeschaffungswert innerhalb eines Toleranzrahmens nicht zu beanstanden

  • Liegt der vom Schadengutachter ermittelte Wiederbeschaffungswert (WBW) innerhalb eines
    Toleranzrahmens, ist er nicht vom Gericht zu korrigieren.

  • AG Ulm, Urteil vom 25.08.2017, Az. 4 C 1890/16, Abruf-Nr. 196282

  • Das Urteil folgt der richtigen Erkenntnis, dass es den einen einzig richtigen WBW nicht gibt.
    Der Gutachter hatte ihn mit 16.200 Euro ermittelt. Der Versicherer sah ihn nur in Höhe von
    14.850 Euro. Die Differenz klagte der Geschädigte ein. Das Gericht beauftragte einen
    Gutachter mit der Prüfung des Wertes. Der kam zum Ergebnis, dass nach Auswertung von
    Offerten und Annoncen ein Toleranzfeld von 15.000 bis 17.000 Euro anzunehmen sei. Ein
    WBW von 16.000 Euro erschien ihm angemessen. Weil der WBW, auf dem die Klage
    beruhte, bei 16.200 Euro liege, sei er, so das Gericht im Toleranzbereich und zu akzeptieren.
    Auf ein kleinliches Abrunden hat das Gericht verzichtet.

  • Die Erkenntnis lässt sich auf die Frage eines merkantilen Minderwerts genauso übertragen:
    Liegt er innerhalb eines Ermessensspielraums, ist er nicht zu beanstanden (siehe z.B. AG
    Geislingen, Urteil vom 04.08.2017, Az. 6 C 93/17, Abruf-Nr. 196283).

Gutachten: Kosten für isolierte Minderwertermittlung erstattungspflichtig

  • Beauftragt der Geschädigte, der bei einer Schadenabrechnung auf Kostenvorschlagsbasis
    bemerkt, dass ihm dabei die Wertminderung entgeht, einen Schadengutachter isoliert mit der
    Ermittlung des merkantilen Minderwerts, sind die Kosten dafür vom eintrittspflichtigen
    Haftpflichtversicherer zu erstatten

  • AG Ulm, Urteil vom 26.10.2017, Az. 1 C 1097/17, Abruf-Nr. 197454

  • Das Urteil ist von großer Bedeutung in den Fällen, bei denen sich der Geschädigte auf die
    Order des Versicherers eingelassen hat, nur einen Kostenvoranschlag zu beschaffen. Merkt
    er später, dass er auf diese Weise um die Wertminderung gebracht wird, darf er mit einem
    Schadengutachten zu dieser Schadenposition nachkarten

  • Das muss selbst dann gelten, wenn der Versicherer einwendet, er habe die Wertminderung
    doch bereits festgelegt. Denn dem Versicherer muss der Geschädigte insoweit nicht
    vertrauen.

Sachverständigenhonorar: keine Preisvorgabe für die Erstattung der Gutachtenkosten

  • Genauso hatte zuvor das AG München entschieden

  • AG München, Urteil vom 20.09.2017 , Az. 322 C 12124/17, Abruf-Nr. 196819

  • Das Gericht stellt darauf ab, dass der Geschädigte seinen Schadengutachter selbst auswählen darf und sich nicht auf einen von dem Schädiger vorgeschlagen Schadengutachter einlassen muss. Würde man dem Versicherer zugestehen, mit Hinweis auf günstige Preise eines ihm geneigten Anbieters eine Obergrenze durchsetzen zu können, wäre der Geschädigte mittelbar gezwungen, diesen Gutachter zu nehmen. Das höhlt seine Rechte aus. Im Übrigen dürfe der Geschädigte mit Fug und Recht die Unabhängigkeit des Gutachtens bezweifeln, wenn der sich auf solch niedrige Preisvereinbarungen mit dem Versicherer einlässt

  • Für die Anwälte unter den Lesern: Das Urteil ist eine perfekte Diktiervorlage für eine Klage. Erstaunlicherweise nimmt der Versicherer den Prozess im Einzelfall durchaus auf und riskiert Urteile wie die aus München und aus Kemptem

Kasko: Schaden zu spät gemeldet – nichts bekommen!!

  • Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, einen Schaden unverzüglich dem Vollkaskoversicherer zu melden. Meldet er ihn erst nach ca. sechs Monaten, kann der Versicherer leistungsfrei sein.

  • OLG Hamm, Urteil vom 21.06.2017 , Az. 20 U 42/17, Abruf-Nr. 196773

  • Bei zweifelhaften Unfallhergängen neigen manche Betroffene dazu, erst beim gegnerischen Haftpflichtversicherer zu versuchen, den Schadenersatz durchzusetzen, weil sie die eigene Kaskoversicherung nicht im Schadenfreiheitsrabatt belasten wollen. Wer so vorgeht, muss aber unbedingt eine vorsorgliche Schadenmeldung bei seinem Kaskoversicherer einreichen. Denn sonst kann er am Ende ganz leer ausgehen. Insbesondere bei solchen Kunden, die häufig den Kfz-Versicherer wechseln, weil sie stets den billigsten wählen, wird die Neigung des Versicherers, die mögliche Leistungsfreiheit wegen der verspäteten Meldung durchzusetzen, groß sein.

  • Eine Rabattrückstufung wegen der Schadenmeldung muss der Versicherer rückgängig machen, wenn er am Ende nicht in Anspruch genommen wird.

Ausfallschaden: Nutzungsausfallentschädigung bei unzumutbarem Zweitwagen

  • Steht in der Familie zwar noch ein Fahrzeug zur Verfügung, kann nach dem Unfall dennoch Nutzungsausfallentschädigung beansprucht werden, wenn das ein in der konkreten Situation unzumutbares Fahrzeug ist.

  • AG Duisburg-Hamborn, Urteil vom 27.10.2017 , Az. 9 C 224/17 ,Abruf-Nr. 197452

  • Der Ehemann der Geschädigten hat einen Firmenwagen, den er ständig nutzt. Er hat daneben ein Hobbyfahrzeug, nämlich einen Dodge Pickup Truck. Der wäre während der Reparatur des verunfallten Fahrzeugs durchaus greifbar gewesen. Doch die Geschädigte hatte vorgetragen, das Fahrzeug sei ihr so viel zu groß, dass sie damit noch nie gefahren sei. Unter diesen Umständen hielt das Gericht die Überbrückung des Ausfalls mit diesem Truck für unzumutbar.

  • Das Urteil ist ein gutes Beispiel dafür, dass der  Einwand  „Nutzen Sie den greifbaren Zweitwagen“ nur zieht, wenn das zumutbar ist. Bei  „Spielzeugautos“ ist das eher selten der Fall.

Reifenpreis muss üblich sein, aber nicht der niedrigste

Amtsgericht Hamburg Wandsbeck: „Auch soweit der Prüfbericht den Ansatz eines zu hohen Reifenpreises beanstandet, ist dem nicht zu folgen. Die Benennung einer Bezugsquelle mit einem niedrigeren Preis belegt nicht, dass der vom Sachverständigen ermittelte Preis unangemessen oder unüblich ist.“ So erfreulich klar hat sich das AG Hamburg-Wandsbek zur fiktiven Abrechnung eines Unfallschadens positioniert. |

Es ist ja nichts Neues, dass in den Prüfberichten oft auf einen ‒ wie auch immer ermittelten ‒ Preis eines Reifendiscounters abgestellt wird. Doch darauf kommt es nicht an. Der Preis muss im Rahmen liegen, das genügt (AG Hamburg-Wandsbek, Urteil vom 01.06.2021, Az. 715 C 81/21, Abruf-Nr. 223184, eingesandt von Rechtsanwalt Jörg-Ullrich Cappel, Rüsselsheim).

Damit liegt das Gericht völlig richtig. Denn sonst müsste der Geschädigte doch für jedes Teil den gesamten Markt absuchen und sich ein Ersatzteilbezugs-Puzzle zusammenstellen. Das ist absurd. Das AG Chemnitz hatte in ähnlichem Zusammenhang schon 2017 klargestellt: Es besteht keine Fürsorgepflicht des Geschädigten, zugunsten des Schädigers den denkbar billigsten Reparaturweg zu wählen (AG Chemnitz, Urteil vom 13.11.2017, Az. 15 C 88/17

Laut eines Urteils der AG München müssen die Kosten für Desinfizierungskosten vom Schädiger erstattet werden.

DAS URTEIL DES AG MÜNCHEN IM WORTLAUT

Lesen Sie hier die vollständige Begründung des Amtsgericht München 

(Urteil vom 27.11.2020, AZ: 333 C 17092/20):

„Nicht die Ansetzung dieser Kosten ist „unsinnig und lebensfremd“, sondern die Argumentation der Beklagten. Die entsprechenden Maßnahmen dienen nicht nur dem Schutz des Mitarbeiters (was i.Ü. auch nicht zu beanstanden, sondern erforderlich ist), sondern auch dem Schutz des Kunden. Dieser kann in der heutigen Zeit erwarten, ein desinfiziertes Fahrzeug zu übernehmen. Eine „vertragliche Vereinbarung“ ist gar nicht notwendig, da sich die Maßnahmen jedem verständig denkendem Durchschnittsbürger geradezu aufdrängen. Sie sind, gleich wessen Schutz sie dienen, durchzuführen und erforderlich. Die behauptete Einschätzung des RKI etc. spielt keine Rolle, da nunmehr allgemein bekannt sein sollte, dass COVID19-Viren längere Zeit, je nach Oberfläche mehrere Stunden bis Tage, überlebensfähig sind. Es muss gerade in der aktuellen Pandemiesituation alles erdenklich Mögliche und Zumutbare unternommen werden, um die Verbreitung des Virus einzudämmen und Schaden an Gesundheit und Leben zu verhindern. Dass die Anwendung von Desinfektionsmitteln hierunter fällt, ist allgemeinbekannt und wird diesseits sicher nicht mit „Sachverständigengutachten“ überprüft werden. Das Gericht geht davon aus, dass sich – ebenso wie allein hier im Haus – in den Rechtsanwaltskanzleien etc. und auch in den Räumen der Versicherer nicht nur Desinfektionsspender befinden, sondern auch regelmäßig umfangreiche Desinfektionsmaßnahmen durchgeführt werden.

Vor diesem Hintergrund ist der Vortrag der Beklagten schlechterdings unverständlich und unhaltbar.“

Obwohl nur wenige Versicherer den Einwand bringen, müssen immer häufiger Gerichte die Frage entscheiden: Ist die Wertminderung beim zum Vorsteuerabzug berechtigten Geschädigten ungekürzt zu erstatten oder ist ein Betrag in Höhe der Mehrwertsteuer herauszurechnen? Eine aktuelle Entscheidung des AG St. Goar, die sich einem Trend in der Rechtsprechung entgegenstellt und einen etwas verrutschten Lösungsvorschlag macht, gibt Anlass, das Thema noch einmal zu beleuchten. Das auch im Hinblick auf die Folgefragen am Ende eines Leasingvertrags. |

Umsatzsteuerliche Einordnung der Wertminderung als solche

Eines sehen alle Beteiligten und auch die Gerichte, soweit wir erkennen können, übereinstimmend: Die Wertminderung als solche ist eine im Hinblick auf die Mehrwertsteuer steuerneutrale Position.

Die gesetzliche Grundlage

Was landläufig Mehrwertsteuer genannt wird, heißt im Gesetzestext Umsatzsteuer. Also ist das Umsatzsteuergesetz (UStG) Grundlage aller Überlegungen. Von Bedeutung ist hier § 1 Abs. 1 Ziffer 1 S. 1 UStG:

  • § 1 Abs. 1 Ziffer 1 S. 1 UStG

„Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:

  • 1. die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt.“

Es geht also um Lieferungen und Leistungen eines Unternehmers gegen Entgelt. Das wird gemeinhin mit dem Begriff des „Leistungsaustausches“ zusammengefasst: Leistung gegen Gegenleistung, wobei die Gegenleistung in der Regel eine Zahlung ist.

Die Wertminderung wird aber von keinem Unternehmer „geliefert“ oder „geleistet“, und schon gar nicht gibt es eine Gegenleistung.

Wertminderung ist für AG St. Goar „Folge eines Kräfteaustausches“

Mit einigem Humor formuliert das AG St. Goar in seinem Hinweisbeschluss in Bezug auf den merkantilen Minderwert: „Dieser ist das Ergebnis eines Kräfteaustauschs und nicht eines Leistungsaustauschs.“ Damit hat es die Grundlage auf den Punkt gebracht und folgert goldrichtig: „Er unterliegt nicht der Besteuerung.“ (AG St. Goar, Hinweisbeschluss vom 17.05.2021 und Urteil vom 07.06.2021, Az. 31 C 294/20,

Konsequenz für den Schadengutachter

Das bedeutet für den Schadengutachter: Er muss nicht etwa eine „Wertminderung netto“ und eine „Wertminderung brutto“ in seinem Gutachten ausweisen. Eine entsprechende Differenzierung wäre also nicht nur überflüssig, sondern auch steuerrechtlich falsch.

Ein Prüfbericht ist nicht geeignet, das Schadengutachten und damit auch die Rechnung in Frage zu stellen. Das hat zum Beispiel das AG Neustadt am Rübenberge klar erkannt und bestätigt. In dessen Urteil vom 23.09.2020, Az. 41 C 327/20 heißt es wörtlich:

„Unstreitig wird der Prüfbericht computergesteuert und automatisch erstellt. Die Klägerin selbst hat vorgetragen, dass nur im Falle von Fehlern eine Tiefenprüfung stattfinde. Es handelt sich hierbei lediglich um pauschale Behauptungen, dass gewisse Reparaturpositionen und Arbeitsleistungen nicht erforderlich seien, ohne dass ausreichend auf den Einzelfall Bezug genommen wird und sich konkret mit dem Gutachten xy auseinandergesetzt wird. Man kann im Falle der Beilackierung stets pauschal behaupten, eine solche sei nicht erforderlich. Eine Auseinandersetzung mit dem hier geschädigten Fahrzeug findet nicht statt. Der Prüfbericht lässt auch nicht erkennen, ob im vorliegenden Fall eine Einzelprüfung durch eine qualifizierte Person stattgefunden hat oder nicht. Ferner ist zu berücksichtigen, dass eine Besichtigung des Fahrzeugs nicht stattgefunden hat und auch eine Auseinandersetzung mit dem vom Privatgutachter xy erstellten Fotos von den Beschädigungen fehlt.“

Der Prüfbericht enthält keinen Namen eines Sachbearbeiters. Den kann es nach obigen Ausführungen auch nicht enthalten, denn das wäre der Programmierer. Automatisiert wird der Inhalt der Rechnung mit von wem auch immer, in aller Regel vom auftraggebenden Versicherer, gemachten Vorgaben verglichen. Was nicht zur Vorgabe passt, wird gestrichen. Es wird also nicht auf fachliche Richtigkeit geprüft, sondern auf Übereinstimmung mit Vorgaben.     

Ein Versicherer hat in einem Schreiben an einen Rechtsanwalt einmal die Arbeit der Prüfdienstleister wie folgt beschrieben:

„Die Tätigkeit von Prüfdienstleistern erfolgt weisungsgebunden. Der Prüfung liegen Regelwerke zugrunde, welche wir vorgeben. Ein Prüfdienstleister hat mithin keinen eigenen Prüfungsspielraum…“

Das Schreiben wird im Rechtsstreit vorgelegt werden.

Prüfberichte sind daher nicht geeignet, das Schadengutachten anzuzweifeln.

So haben bereits folgende Gerichte entschieden:

  • AG Hamburg-Blankenese, Urteil vom 21.07.2017, Az. 532 C 110/17
  • AG Bochum, Urteil vom 18.05.2018, Az. 66 C 439/17
  • AG Ulm, Urteil vom 05.03.2018, Az. 6 C 1714/17
  • AG Ebersberg, Urteil vom 16.10.2017, Az. 9 C 593/17
  • AG Solingen, Urteil vom 10.08.2018, Az. 14 C 151/18
  • AG Bad Urach, Verfügung vom 04.11.2019, Az. 1 C 194/19
  • AG Dortmund, Urteil vom 16.05.2019, Az. 404 C 1857/19
  • AG Dresden, Urteil vom 29.08.2019, Az. 107 C 1081/19
  • AG Soest, Urteil vom 09.04.2021, Az. 13 C 24/21
  • AG Jever, Urteil vom 26.03.2021, Az. 5 C 186/20